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Als die Bilder fliegen lerntenAls die Bilder fliegen lernten

Perspektiven der Filmbildung – Lernen im Verbund digitaler Medien
Vortrag Dr. Daniela Kloock – Vision Kino Kongress, Köln 2014

I.

Bei der Annäherung an das Thema stellen sich spontan folgende grundlegende Fragen,
die es gilt im Hinterkopf zu bewahren:

- Welche Art von Filmen findet derzeit überhaupt Eingang in didaktische Konzepte
und Materialien für die Lehre? (Ein Blick auf die website der bpb oder von „Vision Kino“
gibt hierzu einen guten Einblick). An welchem „Gegenstand Film“ orientieren sich also
eine Reflexion und Diskussion, wenn man von Filmbildung v.a. in der Schule spricht?

- Und: woran denken WIR, die Lehrenden - zuerst und spontan, wenn wir an Film denken?

Bei diesem Kongress, der auch ein Branchentreff ist, werden die meisten vermutlich
zunächst an den Kinofilm denken. Doch wir alle wissen seit den Anfängen der
Kinematografie hat sich die Bilderwelt radikal verändert. Die massivste Veränderung
in der Rezeption und Produktion der Bewegtbilder kam mit der digitalen Wende.
Wir sprechen also heute von einem rhizomartig wuchernden Bereich der online-Bilder,
der Computerbilder, der Handyfilme - nicht ahnend, was noch alles auf uns zukommen
wird...
Die Bilderproduktion hat sich folglich in einem unvorstellbaren Maße weiterentwickelt,
ausdifferenziert und ausgeweitet. Bereits ein kurzer Blick auf einige Daten verdeutlicht
dies auf erschreckende Weise.
Circa 6500 bis 7000 Filme sind weltweit für die Erstaufführung in Kinos bestimmt.
Demgegenüber stehen derzeit (!) circa 100 Stunden Videomaterial pro Minute (!)
- allein auf Youtube. Es geht jedoch nicht nur um veränderte Quantitäten, sondern
auch um neue Qualitäten. Das Universalmedium Computer hat bisher klare Trennungen
einzelner Bildergattungen, Mediengattungen, brüchig gemacht. Die Ab- und Eingrenzung
des Gegenstandes „Film“ wird also deutlich schwieriger.

Demzufolge haben wir nicht nur große Probleme bei der Verortung von Bildern, sondern
auch bei ihrer Verwaltung und erst recht (in diesem Kontext hier) in ihrer Bewertung.
Sprechen wir heute 2014 von Filmbildung, so müssen wir das gesamte Spektrum
neuzeitlicher Audiovisualität zumindest mitdenken. So viel zur Ausgangslage.

II. – Die Perspektive

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Eine Perspektive ist stets an den Ort des Betrachters gebunden - wer also spricht hier?

Die Soziologie unterscheidet die Generation x von der Generation y, deren Medien-
und Filmerfahrungen sich grundsätzlich/elementar von der vorangegangenen
Generation unterscheidet. Es handelt sich hier um eine Kluft, einen „GAP“, hinsichtlich
ästhetischer Erfahrungen, hinsichtlich einer Mediensozialisation, hinsichtlich ganz
spezifischer Wahrnehmungsformen...

Dieser Generationen-Gap hat hinsichtlich der Filmbildung in Schulen eine besondere
Relevanz, wenn man bedenkt, dass die Hälfte der derzeit amtierenden Lehrer 50
Jahre und älter ist. Hier kommt es zu Vermittlungs- und Wahrnehmungs- Konflikten
und Verschiebungen.

Die wissenschaftliche Literatur läßt sich bezogen auf diesen Aspekt in folgenden
Kernaussagen zusammenfassen:

„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass schulisches Lernen und die soziokulturellen
Praktiken der Aneignung von Medien von Jugendlichen in völlig verschiedenen
ökologischen Umwelten stattfinden.“

(Text aus der Ztsch. für Theorie und Praxis der Medienbildung, Heft 24)

Die verschiedenen ökologischen Umwelten, das heißt „die Schule“ auf der einen Seite
und alles, was nicht Schule ist, auf der anderen Seite.

„Soziale Praktiken und medienbezogene Alltagsroutinen von Kindern und Jugendlichen
werden im Kontext der Schule nicht oder nicht ausreichend aufgenommen und
verarbeitet“

(so Bardo Herzig in dem Sammelband von Kai Uwe Hugger „Handbuch Kinder und Medien“).

Unterstützt werden diese Aussagen auch durch die Studie von Prof. Niesyto (PH
Ludwigsburg), der 6000 Jugendliche online zu ihrer Mediennutzung befragt hat. Ergebnis:

  • Nur ein geringer Anteil von Lehrern weiß, was die Medien-und Filmerfahrungen von
    Jugendlichen sind

  • Diese würden sich aber wünschen, dass ihre Medienerfahrungen in der Schule ernst-
    und wahrgenommen werden

  • Sie möchten mitgestalten

  • Sie möchten mehr über Film und Medien erfahren

All dies entspricht auch der von „Vision Kino“ in Auftrag gegebenen Studie durch Insa
consulare: 70 Prozent der befragten Jugendlichen geben dort an, sie hätten weder
innerhalb noch außerhalb der Schule gelernt Filme zu gestalten... sie fänden es aber
gut bis sehr gut, mehr über „Film“ und „Medien“ zu erfahren. Wieder wird besonders
das Moment des Mitgestalten-wollens, des Partizipieren-wollens betont.

Partizipation, Mitgestaltung, Enthierarchisierung von Lernenden und Lehrenden – all
dies ist meiner Meinung nach rekurrierbar auf die Ästhetik des Digitalen. Und genau
diese Ästehtik bestimmt die Jugendlichen in zunehmendem Maße.

Ästhetik jetzt verstanden als Aisthesis, als Wahrnehmungsform oder Wahrnehmungsweise.

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III.

Im Folgenden möchte ich stichwortartig die Wahrnehmungsweisen des Analogen und
Digitalen gegenüberstellen - auch wenn es hierbei zu Verkürzungen und Zuspitzungen kommt.

Ästhetik des Digitalen

  • Neben den Überschneidungen (bsp. Film und cut scene beim computerspiel)
    - Stichwort Konvergenz - spielt das Zufallsmoment in der digitalen Wahrnehmung
    eine große Rolle. Wir alle wissen es, man sucht etwas im Netz und kommt dann auf
    ganz andere Dinge, die bei der Recherche gar nicht beabsichtigt waren....

  • ein „Sense of sudden“- die Möglichkeit alles und immer und jederzeit zur Verfügung
    zu haben, und zwar relativ unaufwendig!

  • Das partizipative Moment. Die Möglichkeit communities zu bilden, interaktiv zu
    kommunizieren. Das Prinzip der feed back Schlaufen, weltweit kommunizierbar zu
    sein, etwas neu entdecken und den Fund mittzuteilen...

All diese Momente führen teilweise zu weniger erquicklichen Folgen auf einer
psychodynamischen Ebene:

  • Selbstüberhöhung, ein stark narzistisches Moment

  • unmittelbar triebimpulsgesteuerte Reaktionen, - like oder like not, shitstorms u.ä.m.

Die Ästhetik des Analogen

welche die Lernwelt der Schule, aber auch des Kinos als Ort ist - ist definiert durch Raum
und Zeit und konkrete Menschen und Inhalte, – eben dieses unhintergehbare LIVE Moment.
Dies sollte in der Betrachtung viel höher eingeschätzt werden. Ich beschreibe es wie folgt:

  • kuratierend und damit schützend

  • sinngebend, wichtiges von unwichtigem trennend

  • fördernd und fordernd

  • konzentriert und kontextualisiert

  • prozeßorientiert

  • live und einmalig - das Gegenteil von cut and paste!!! Von Reproduzierbarkeit

Diese verschiedenen Wahrnehmungsmodi oder Wahrnehmungsdispositive gilt es genauer
in den Blick zu nehmen mit ihren jeweiligen Potentialen. Und verbunden mit der Frage,
wo und wie sich Schule oder das Kino auf die jeweiligen Stärken konzentrieren sollten,
bzw. wo und wie sinnvolle Innovationen möglich wären?

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IV.

Welche Modelle und Vorschläge sind möglich?

Denkbare Innovationen für Filmbildung im schulischen Alltag:

Konzepte aus der informellen Bildung

  • Open educationel resources

  • Konzepte aus dem Kontext des Slow Media Instituts

  • Inverted classroom

Strategien für ein Kino im digitalen Verbund

Stärkung des hier und jetzt: Personalisierung – Auratisierung

  • Differenzierung des Programms

  • Partizipation des Publikums

  • Professionalisierung der Kinomacher

Unterstützungsstrukturen schaffen

leicht recherchierbare/verlinkte Plattformen

außerschulische Initiativen

  • Patenschaften, Filmagenten

  • Filmclubs

  • Kooperationen mit engagierten Filmemachern

neue Ideen entwickeln

  • gezielte Förderung für Jugend/Filmprojekte

  • offizielle Filmförderung wird an Jugend – Schulprojekte gekoppelt

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Beispiele aus Frankreich (Laurent Cautet) oder Polen (Roman Gutek) zeigen , was
möglich wäre. Aber auch in der Schweiz oder in Großbritannien könnte man sich
Ideen und Vorschläge einholen, um Konzepte und Strategien für eine zukünftige
Filmbildung zu entwickeln. Liegt uns diese wirklich am Herzen und wollen wir nicht
nur kritiklose Kinogeher, die wir mit Popcorn und anderem junk food abfüllen, sollten
wir dringend Gas geben!

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit!