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Als die Bilder fliegen lerntenAls die Bilder fliegen lernten

Daniela Kloock

Auf dem Weg zu neuen Seh(n)suchtsorten –
Werden Filmfestivals auch in Zukunft ihre Autorität behalten?

Wenn die großen Filmfestivals stattfinden werden auch diejenigen, die nichts mit
Kino „am Hut haben“, auf Berlin, Cannes, Venedig und Lucarno aufmerksam. Doch
worin liegt eigentlich Sinn und Zweck dieser Veranstaltungen? Im Zeitalter des
Digitalen stellt sich diese Frage mehr denn je.
Denn auch für die Ware Film entstehen neue Plattformen des Vertriebs, der Verwertung
und der Kommunikation. Noch kann man sagen: Wenn Film ein Fenster zur Welt ist,
sind Festivals das Schaufenster fürs Kino. Bislang wird nur hier ein bestimmtes
Spektrum an Filmen aus einem breiten Angebot aussortiert, geordnet und vorgestellt.
Allein die Tatsache aus einem riesigen Angebot an Filmproduktionen (über 1000
europäische Filme im Jahr) ausgewählt worden zu sein ist ein wertvolles Label für die
Vermarktung eines Films. Und der Regisseur, der hier einen Preis erhält, muß sich um
einen Platz auf der Karte des Weltkinos nicht sorgen. So wären beispielsweise Pedro
Almodóvar, Abbas Kiarostami, Christian Mungiu oder jüngst Apichatpong Weerasethakul
ohne ihren Ruhm aus Cannes bestenfalls in ihren Heimatländern oder nur einem kleinen
Kennerkreis bekannt.

Doch Festivals sind nicht nur eine Mischung aus mehr oder weniger durchschaubaren
Selektions- und Ordnungsprozessen, kommerzieller Verwertung und Distribution und
massenmedialer Aufmerksamkeit, sondern auch eine Form der „Publikumsbetreuung“.
Denn jenseits der auratisch aufgeladenen Seh(n)suchtsorte existieren viele kleine und
mittelformatige Festivals, Filmtage und Filmwochen, deren Existenz überregional kaum
bekannt ist. Diese sind vor allem kulturpolitisch bedeutsam, weil sie die immer größer
werdenden Lücken schließen, die das zunehmende Verschwinden von Programm- und
kommunalen Kinos hinterlassen.

Doch die Medien(um)welten verändern sich – nicht nur durch das Kinosterben in der
sogenannten Provinz. Es ist, wie könnte es anders sein, das Internet, durch  welches
Festivals sowohl ihre Funktion der „selektierenden Autorität“ als auch ihre Geltung als
Ort des Filmerlebens verlieren könnten. Denn in der digitalen Welt gibt es immer mehr
Menschen, deren primäre Interaktion mit Film über das neue  Universal-Medium
geschieht. So sind (Vor)Kenntnisse nicht länger abhängig von Universitätsseminaren,
Besuchen der Filmbibliotheken und einschlägigen Festivals. Und statt nach den Urteilen
prominent besetzter Jurys oder wichtiger Feuilletons zu gehen orientiert man sich
heutzutage vielmehr an den Eintragungen im Netz. Internet-Seiten wie „rottentomatoes“,
„metacritic“ „imdb“ oder hierzulande „critic.de“, „cargo-film.de“, oder die blogs bestimmter
Filmfreaks sind für manche längst zu wichtigeren Orientierungspunkten geworden. Und
die Netzdebatten sind zuweilen durchaus spannend, aktuell und dialogisch. Vor allem
aber sind sie an keinen Ort und keine feste Zeit gebunden. Es könnte also durchaus sein,
dass die Funktion von Kuratoren, Festivalleitungen und Jurys schneller als gedacht
brüchig wird bzw. neu überdacht werden muß. Vor allem dann, wenn der kommerzielle
Aspekt der Festivals sich weiter aus- und verlagert. Online entstehen neue Verleih- und
Vertriebswege, die über kurz oder lang Auswirkungen auf die gesamte Filmlandschaft
haben werden. Bislang ist es so, dass die Mehrzahl der Filme kein Publikum findet, sie
kommen weder ins Kino noch ins Fernsehen. Das Netz als Plattform wird hier neue Wege
des Filmvertriebs, aber auch des Filmerlebens schaffen. So sind beispielsweise alle
Filme von Agnes Varda, ebenso wie die Cannes Favoriten des letzten Jahres, in voller
Länge online bei „the auteurs“ (www.theauteurs.com) bzw. mubi.com zu sehen. Man
braucht lediglich einen kostenlosen account. Und es ist durchaus denkbar, dass in
Zukunft der Wettbewerbsfilm eines Festivals seinen zeitgleichen Auftritt im Internet
hat. Und dann entschiedet sich möglicherweise auch dort, ob ein Film preisverdächtig
ist oder nicht.

Die Festivals werden sich jedenfalls einiges einfallen lassen müssen, jenseits neuer
Auswertungs- und Refinanzierungsmodellen, die auch zur Debatte stehen. Docken
sie sich zunehmend an das Internet an? Öffnen sie sich gegenüber anderen Künsten
im Netz, wie es seit 1997 bereits das (erste) digitale Filmfestival „onedotzero“ (GB)
macht? Oder gehen sie ganz andere Wege, um sich ein attraktives Profil bzw.
Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen? Das Festival Aurora in Norwich (GB) diskutiert
e beispielsweise im letzten Jahr etwas ganz Überraschendes. Statt, wie etwa die
Berlinale, immer größer zu werden – und dabei immer unübersichtlicher und vielleicht
auch belangloser – kehrte man hier zu EINER einzigen Leinwand zurück. EIN kompakte
r Veranstaltungsort als Sinnbild für die (Ver)Sammlung und das einmalige Kinoerlebnis.
Also hin zur Verkleinerung und Vereinfachung? Vielleicht ist die Idee der radikalen
Reduktion und Konzentration gar nicht so schlecht, wie es auf den ersten Blick scheint.